Leserbriefe |
Dienstag, 28.09.2010 | Drucken |
Leserbriefe
Kevin Weber schrieb:
"Auch ein Herr Dr. Sarrazin müsste das verstehen"
Als srilankisch-deutscher Mitbürger habe ich die Sendung von Herrn Beckmann auf ARD am 30.08.2010 mit dem Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, Herrn Dr. Sarrazin, aufmerksam verfolgt. In diesem Zusammenhang möchte ich zunächst auf Herrn Beckmanns unfaire Gesprächsführung aufmerksam machen und ihm den Ratschlag erteilen, zukünftig bei Diskussionen die Gesprächspartner ausreden zu lassen und sie nicht zu unterbrechen.
Ein journalistischer Anspruch lässt sich auf diese Art und Weise vermissen und es entsteht der Eindruck, dass der erfahrene Moderator sich darüber nicht im Klaren ist, dass Erkenntnisse und Erörterungen zwischen mehreren Gesprächspartnern nur durch eine funktionierende Gesprächsführung zustande kommt. Überdies hinaus stelle ich fest, dass die eingeladenen Gäste mit 'Migrationshintergrund' genauso wenig repräsentativ, wie Herr Dr. Sarrazins insultierenden und abenteuerlichen Äußerungen sind, mit denen er methodisch und teilweise repressiv einen Teil unserer vielfältigen Population in Deutschland entehrt und sich dessen dem Vernehmen nach nicht einmal bewusst ist.
Nun mache ich bewusst nicht den Fehler, wie ein Herr Dr. Sarrazin und reduziere ihn im konkreten Fall auf seinen achtunggebietenen beruflichen Werdegang, weil die letztendlich von ihm gebrachten Äußerungen bezüglich Migranten und unterschiedlichsten Lebensweisen nicht einen einzigen Rückschluss auf seine zeitweise ordinäre und übel gesinnte Anschauungsweise zulässt. Der ZEIT gegenüber erklärte Herr Dr. Sarrazin: "Intelligenz und Schichtzugehörigkeit korrelieren stark positiv". Damit bestätigt er genau das, was auch ich über ihn denke. Vielmehr hätte ich von Herrn Dr. Sarrazin erwartet, dass er sich konstruktiv bei der von ihm angestoßenen Debatte um 'Ausländer' beteiligt und nicht permanent seine Thesen auf doppeldeutige und zwiespältige Studien bezieht. Genau da fängt das eigentliche Problem nämlich an.
Seine Studien verstehen nicht alle in Deutschland. Und oftmals erst recht nicht diejenigen Menschen, an denen sich der Bundesbankvorstand auf niederträchtige Art und Weise in der Öffentlichkeit durch seine verbalen Wortspiele vergeht. Umgekehrt macht Herr Dr. Sarrazin den Eindruck, als würde er wirklichkeitsfremd und verloren in einem friedlichen Land vor sich hin verweilen und die Fortschritte in Sachen Migration und kultureller Vielfalt verpasst zu haben. Muslimische Kinder als 'Kopftuchmädchen' zu bezeichnen oder Pauschalurteile zu fällen, wie "eine große Zahl der Araber und Türken in dieser Stadt hat keine produktive Funktion, außer für den Obst- und Gemüsehandel" entbehren jeglicher Grundlage und heizen die Debatte unnötig an.
Die Medien, insbesondere das deutsche Fernsehen verschenken mit Berichterstattung über Herrn Dr. Sarrazin wertvolle Zeit, anstatt jetzt dort anzusetzen, wo die Beleidigungen und Vorurteile über 'uns Ausländer' durch eine einzige Person (!) hinführten. Gleichzeitig ist Herr Dr. Sarrazin kein Meinungsbildner in dieser Republik, sondern äußert lediglich Dinge, die er nur mit Statistiken anstatt mit Erfahrungen aus dem realen Leben untermauert. Er sollte einfach seinen Job bei der Bundesbank gewissenhaft machen und sich mit seiner Präsenz in der Öffentlichkeit engangierter für ein gutes Miteinander einsetzen. Ihn aus der Bundesbank rauszuschmeissen oder von der SPD auszuschließen bringt auch überhaupt nichts, da latenter Rassismus tief in der Gesellschaft verankert ist.
Wer das anzweifelt, liegt daneben. Wir alle wissen, dass seine Äußerungen nicht schlagkräftig sind, denn sonst würden alle "Banker", wie Herr Dr. Sarrazin, die Saubermänner vom Dienst sein und alle "Ausländer" nur Kopftuchmädchen produzieren, vom Staat leben und diesen ablehnen. Ich weiss, dass es so nicht ist. Ich bin stolz auf meine ausländischen Freunde, schätze die Vielfalt und Herzlichkeit - unabhängig von Religion und privaten Ansichten. Ich bin froh, Sohn eines srilankischen Einwanderers und deutscher Mutter zu sein und als Banker mein Geld in Deutschland zu verdienen. Ob ich dabei für den "Einen" da draußen gleich optisch wieder als Sri Lankaner, Marokkaner oder Türke durchgehe oder für den "Leser" jetzt als perfekter "Deutscher" Anerkennung finde, ist mir wirklich egal. Wir sollten froh sein, in Deutschland leben zu dürfen. Das Land hat lange gebraucht, sich so vielfältig und friedlich zu entwickeln.
Darauf sollten alle Menschen in Deutschland, unabhängig von Herkunft, Bildungsweg und religiösen Ansichten stolz sein. Um das zu verstehen, muss man nicht erst Vorstand einer Bundesbank werden oder mit Kopftuch zwangsläufig auf dem Wochenmarkt Gemüse verkaufen. Auch ein Herr Dr. Sarrazin müsste das verstehen.
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