Leserbriefe Montag, 20.07.2009 |  Drucken

Leserbriefe



Samina Khan schrieb:
"Warum der Mord an Marwa ein Politikum ist"


Die Politik stellt Normen und Gesetze auf, die für eine Gesellschaft Maßstab und Relevanz haben. Keiner kann sich dem entziehen, ohne sich an den gesellschaftlichen Rand zu begeben oder Normen aufzuheben.
In der Vergangenheit gibt und gab es Elemente in der in der politischen Auseinandersetzung, die bewusst zugespitzt geführt wurden, teils um Meinung zu verändern teils um Meinung als rechtsgültige Norm in einen gesellschaftlichen Wertekanon mit aufzunehmen.

Man hat jedoch bei dieser Situation bewusst ignoriert, dass es Menschen gibt, die sich unbewusst nicht in einem gesellschaftlichen Wertekonsens befinden, weil sie neue Werte und andere Werte mit in den gesellschaftlichen Diskurs bringen. Sie sind anders weil sie einen anderen kulturellen und historischen Hintergrund haben. Dies besagt dennoch nicht, dass sie sich einem gesellschaftlichen Wertekanon entziehen können.

Schon gar nicht, wenn man versucht mit Zwang einen Konsens zu erzwingen.Und so wurde in der Vergangenheit ein Diskurs geführt, der eben diese mit Druck in diesen Kanon mit aufnehmen sollte.
Politik wurde instrumentalisiert, um ähnlich wie im Falle des Irak Kriegs westliche Werte einer nicht westlich sozialisierten Kultur zu bringen.

Wenn Politik zu einer ideologischen Falle und die Menschen für die man Politik macht Subjekte des eigenen Selbst werden, kann Politik nicht für die Menschen sein, die es betrifft, sondern nur ein ausführendes Organ der eigenen ideologischen Verbrämtheit sein.

Wenn die Ideologie der Maßstab und nicht der Mensch der Maßstab von Politik ist, wird ein Diskurs obsolet. Er verschärft die Gräben und polarisiert die vermeintlich gesellschaftlich bestehende Situation, die weder Realität noch Alltag des Menschen widerspiegelt.

Eine solche Situation ist in der Vergangenheit durch die verschärft geführte Debatte zum Kopftuch entstanden. Plötzlich sind viele Politiker oder sich im Diskurs befindliche politische Menschen zum Experten für Islam und Frauenfragen mutiert.
Frauen, die es betraf waren unterdrückt und ihre vermeintliche Unterdrücktheit erlaubte es ihnen nicht für sich selbst zu sprechen, so schien es.

Denn wie lässt es sich heute erklären, dass die zahlreichen Frauen, die sich gegen einen Diskurs wehrten, der sie als unterdrückt oder extremistisch erscheinen ließ, kein gesellschaftliches Gehör fanden?

Weil in diesem Fall genau die Situation eingetreten ist, die einen Diskurs obsolet erscheinen lässt. Diese Frauen hatten angesichts der Übermacht der Diskursführenden keine Chance sich als Menschen, Frauen und gesellschaftliche Wesen zu erklären.

Die Spirale der Ausgrenzung war gedreht. Erst erklärt man sie als außerhalb der Gesellschaft stehende extremistische Wesen, die laut einer bekannten deutschen Frauenrechtlerin „in ihrem Schleier wie Unmenschen wirken“ und dann besiegelte man ihren weiteren gesellschaftlichen Verlauf durch ein von oben angeordnetes Verbot, dass alle anderen nur sie nicht außen vor ließ.

Der Entschluss war gefasst. Eine radikale und vermeintlich extremistisch denkende Frau hat in unserem öffentlichen Leben nichts verloren. Dieses Signal wurde laut an die Gemeinden, die ihre Frauen unterdrücken, gesendet.
Das man in diesem Fall gleichzeitig das falsche Signal an die falsche Gruppe sendete war damals abzusehen. Denn es gab und gibt eine andere radikalisierte Minderheit in diesem Land, die ihre Chance witterte und eben durch diesen aggressiv geführten Diskurs eine Existenzberechtigung sahen und auch in Zukunft sehen wird. Dies sind die Rechten unter den Rechten, die Faschisten unter den Neoliberalen und die Gewalttäter unter den Rechtsradikalen, die einen verstärkten Auftrieb sahen.
Auch damals war es für manche Kopftuchtragende Frauen gefährlich in manche Stadtteile mancher Städte zu gehen und wird heute durch das bittere Schweigen der schweigenden Mehrheit immer gefährlicher,

Es wird gesagt, dass eine Definition von Totschlag beinhaltet, dass man ein bekanntes Risiko außer Acht lässt.
Wenn Totschlag diese Definition beinhaltet und die Risiken damals abzusehen waren und besonders angemahnt wurden, sind alle Diskursführenden die in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, einen verschärften Diskurs zu Lasten solcher Frauen führen oder geführt haben des Totschlags schuldig und tragen eine Mitverantwortung für eine fehlgeleitete Entwicklung in dieser Gesellschaft, die diese Frauen zu Opfern werden lässt.


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